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Das Weihnachtsspielzeug

Einmal im Jahr, nämlich zur Adventszeit, erwacht alles Spielzeug zum Leben.

Natürlich nur. wenn alle im Haus tief und fest schlafen. Sie unterholten sich in ihrer eigenen Sprache, die kein Mensch hören kann. Nun war es endlich wieder so weit. Der Dezember war da und in Lisas und Peters Kinderzimmer kehrte nachts geschäftiges Treiben ein. Die Puppen klimperten mit ihren Augen, bewegten Arme und Beine, reckten und streckten sich. Die Kuscheltiere schüttelten ihr Fell, die Spielzeugautos ließen ihre Räder drehen. Für ein paar Nachte hatten sich die Spielzeugkameraden einiges zu erzählen, schließlich konnten sie ein Jahr lang nicht miteinander reden. Doch dann wurde es immer stiller im Kinderzimmer. Nur Rudolf, der kleine Plüschelch mit der roten Nase, sprang im Kinderzimmer umher und rief: „Bin ich aufgeregt, bald ist es wieder so weit!“ Doch keiner antwortete ihm. „Was ist denn los mit euch, freut ihr euch denn gar nicht auf Heilig Abend? Dann bekommen wir neue Spielzeugfreunde. Ist das nicht toll?“ Jetzt dachten alle wehmütig an den Tag zurück, an dem sie in ihren bunt verpackten und mit Schleifen verzierten Kartons unter dem Weihnachtsbaum lagen und es kaum erwarten konnten, von Lisa und Peter ausgepackt zu werden. Und dann, was war das für ein Gefühl, die strahlenden Kinder zu sehen! Tagelang hatten Lisa und Peter mit ihnen gespielt, sie nicht mehr aus den Händen gelassen und sie sogar mit in ihre Betten genommen. „Ja ja...“, brummte der große Teddy vor sich hin, „ ... das ist lange her. Ich bin einer von den ältesten hier. bin schon da, seit Peter ein Baby war. Das muss schon Jahre her sein. als er das letzte Mal mit mir gespielt hat. Heute bin ich schon froh, wenn mir Lisas und Peters Mama den Staub aus meinem Fell schüttelt.“ „Ja, da hast du ganz recht“, sagte die Babypuppe. „Schaut mich an, seit Wochen liege ich nackt hier im Kinderwagen. Weiß Lisa denn nicht, dass Babys ganz leicht krank werden?“

Und so beschwerte sich ein Spielzeug nach dem anderen, dass sie kaum noch gebraucht und meistens irgendwo sitzen gelassen werden. Die kleine Eisenbahn sagte, dass sie bald ganz eingerostet sei und dann gar nicht mehr fahren könnte. Einigen Autos fehlten die Räder, die Legosteine lagen nur in ihren Kisten und wurden nicht mehr zusammengebaut. Das Holzschaukelpferdchen knackte und knirschte beängstigend bei jeder Bewegung und schaute traurig auf seinen zerzausten Wollschwanz. In Lisas Puppenhaus sah es aus, als hätte ein Wirbelsturm gewütet und selbst die schone und stolze Barbie- Puppe beschwerte sich über ihre schmutzigen Kleider und nicht gekämmten Haare. Der fröhliche kleine Rudolf sagte: „Ach, seid doch nicht so miesepetrig! Weihnachten wird alles besser!“ „Du kannst doch still sein!“, brüllte da der Plüschtiger. „Du bist ja Lisas Liebling und darfst jede Nacht bei ihr schlafen. Du weißt ja gar nicht, wie es ist, wenn man nur da sitzt und wartet, bis die Kinder kommen. Und dann schauen sie einen doch nicht an und setzen sich lieber vor den Fernseher oder diese andere Kiste da - diesen Computer. Ich habe jetzt die Nase voll! Wenn ich wüsste wohin, dann würde ich weggehen!“

Da wurde es plötzlich ganz still. Dieser Gedanke war wohl schon einigen gekommen, aber keiner hatte sich getraut, ihn auszusprechen. Nun meldete sich vorsichtig die kleine Robbe zu Wort. Sie war zwar sehr schüchtern, aber auch sehr weise.

„Wisst ihr, wir sind einfach viel zu viele geworden. Lisa und Peter können einfach gar nicht mehr mit uns ollen spielen, sich um uns alle kümmern. Rudolf freut sich zwar auf neue Spielzeugkameraden, aber jedes Jahr werden wir mehr und mehr. Ob Ostern, Geburtstag. Kindertag, Kirmes, Nikolaus oder Weihnachten, ständig gibt es neue Geschenke! Das Kinderzimmer platzt bald aus allen Nähten! Schuld sind nicht Lisa und Peter. Was denken sich nur die Eltern, Großeltern und Verwandten der beiden dabei?“

Da kommt Peters Roboter aus seiner Box gerollt und rattert los: „Hört mir mal zu. Ich habe da neulich etwas aufgeschnappt. Als die Kinderzimmertür offen stand, habe ich etwas fern gesehen. Da waren Kinder, in Afrika, so hieß das, die sind ganz arm. Viele haben keine Eltern oder Großeltern mehr. Sie haben kein zu Hause, nichts zum Anziehen, müssen schrecklich hungern und viele werden krank und müssen sogar sterben. Und noch etwas: Diese Kinder haben nichts zum Spielen, überhaupt kein Spielzeug. Aber da gibt es Leute, die diesen Kindern helfen wollen. Sie haben Dörfer gebaut. Dörfer nur für Kinder. Da müssen wir hin, da gibt es viel zu tun für uns, da haben wir eine Aufgabe!“

„Auf nach Afrika!“ riefen sofort viele Spielzeuge begeistert. Das war die Lösung. Noch  in dieser Nacht schmiedeten sie ihren Plan. Sie einigten sich, wer von ihnen  mit nach Afrika gehen wollte, und wer hier bei Lisa und Peter bleiben würde.

Denn ganz alleine wollten sie die beiden Kinder auch nicht lassen. Sie hatten sie ja schließlich alle gern und wollten nicht, dass sie traurig waren. So beschlossen die Spielzeuge, Lisa und Peter einen Brief zu schreiben und ihnen alles zu erklären. Sie würden es bestimmt verstehen. „Wie kommen wir eigentlich nach Afrika?“, fragte da das Marienkäferchen „Pünktchen“.

Das ist jedoch eine andere Geschichte, die wir vielleicht im nächsten Jahr erzählen können. Oder ihr überlegt selber einmal, wie die Spielzeuge zu den armen Kindern kommen können und wie man den ärmsten Menschen auf unserer Welt helfen kann.

 

Diana Engelhardt

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